Samstag, 17. November 2012

Die Petersen - These

Am 09.11.2012 erhielt das Netzwelt.de-Forum überraschend Besuch der Kanzlei Rasch, Hamburg. Rechtsanwalt Jan H. Petersen stellte drei Thesen zur Debatte.






Seither mögen sich so einige ratlose Leser fragen, was denn eigentlich von verschiedenen Diskutanten so geschrieben wird. Daher scheint eine kleine Einführung in die Begriffe angebracht.

I - Die "tatsächliche Vermutung" 

Die Telemedicus-Redaktion schreibt zum Urteil des BGH vom 12.05.2010, I ZR 121/08 vollkommen richtig und verständlich: "Wer mittels „zuverlässiger Software“ als Inhaber einer IP-Adresse identifiziert wird, über die Rechtsverletzungen begangen werden, den trifft die Darlegungslast dafür, wieso er die Rechtsverletzung nicht selbst begangen hat."

Der BGH jedoch: "Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zu­geteilt ist, so spricht zwar eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist."

Wikipedia hat ein schönes Beispiel dafür gefunden: Behauptet jemand, er sei auf Glatteis ausgerutscht und es gab niemand, der den Vorfall gesehen hat, lag aber die Temperatur beim Vorfall bei 0° oder darunter, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass es Glatteis gegeben hat. Lag sie bei zB + 5° spricht sie dagegen. Es liegt aber weiterhin kein "richtiger Beweis" vor.

Eine tatsächliche Vermutung kann jedoch nur erschüttert, aber nicht widerlegt werden. Steht also zur Überzeugung des Gerichts durch die vorgelegten Beweise zur Ermittlung (und einen fehlenden Gegenbeweis) fest, dass die Loggerbudenstory stimmt (und eben doch nicht stimmt) "darf" das Gericht von der Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers für die Rechtsverletzung ausgehen. Anm: Das hierbei der Provider als Fehlerquelle ausgeschlossen wird stellt einen massiven "Systemfehler" dar.

Will also eine Person die tatsächliche Vermutung erschüttern, muss sie sie entsprechend äußern:  "Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der ..." (BGH)

II - Die Verantwortlichkeit

Der BGH verweist in seinem Urteil vom 12.05.2010 auf die damals in diesem Punkt noch richtige Rechtsprechung des OLG Köln: "Da nach dem Vorstehenden das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass von einer der Verfügungsbeklagten zugeteilten IP-Adresse das geschützte Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, spricht eine Vermutung dafür, dass die Verfügungsbeklagte für diese Rechtsverletzung verantwortlich ist." (OLG Köln, Beschluss vom 11.09.2009, 6 W 95/09)

Heute aber lesen wir "deutschlandweit": "Nach der Rechtsprechung des BGH besteht eine tatsächliche Vermutung zu Gunsten des Rechteinhabers, dass Rechtsverletzungen, die von einem bestimmten Anschluss aus vorgenommen worden sind, von dem Inhaber dieses Anschlusses begangen wurden." (OLG Köln, Urteil vom 23.03.2012, 6 W 67/11)

Eine solch umfangreiche Interpretation durch Instanzgerichte steht ihnen nicht zu. Verantwortlichkeit bedeuted das Vorliegen der kompletten Palette an Möglichkeiten. Von Täterschaft sprach der BGH nicht.

Wer im Urheberrecht verantwortlich für eine Rechtsverletzung ist, kann dies als
- Täter
- Teilnehmer/Gehilfe
- Störer
sein.

III - Unterlassungsanspruch 

Der Unterlassungsanspruch der dem Verletzten tatsächlich zusteht kann jedoch nicht alle Arten von Möglichkeiten der Verantwortlichkeit umfassen. Es liegt ja eine reale Verletzung vor, von der der Verletzte hier aber zum Zeitpunkt der Abmahnung in der Regel nichts weiß.

In den vielfältigen "Orginal-UEs", die zwingend einer Abmahnung mitgesandt werden müssen, damit die Abmahnung vollständig ist, wird daher munter "spekuliert".

Nur der Verletzte kann ermessen (und ist dazu auch "verpflichtet") welche genaue Art der Rechtsverletzung  vorliegt und was er genau damit zu tun hat. Hierbei war und ist das Durcheinander der Rechtsprechung in Deutschland wenig hilfreich. Ein normaler Mensch ist kaum geeignet ein solches Prordukt so herzustellen, dass es vor Gericht bestand hat.

IV - Modifizierte Unterlassungserklärung

Da der Abgemahnte unter Zeitdruck steht, ist er also von Musteranbietern, die gleichzeitig den Gang zu einem Rechtsanwalt aus Kostengründen ablehnen so zu versorgen, dass er den Anspruch auf Unterlassung in jedem Fall erfüllt.

Hierbei hilft der Hamburger Brauch, der die Erklärung nicht als Schuldeingeständnis da stehen läßt, aber faktisch für die Zukunft zusichert die Tathandlung um die es geht nicht zu begehen, oder begehen zu lassen.

Die vorhandenen Muster-UEs sind jedoch überaus kurz. Es gäbe bessere und "verständlichere" Formulierungen.   Der Zweck des Ganzen ist jedoch erreicht: Anspruch ist erfüllt und es drohen weder eine einstweilige Verfügung, noch ein hoher Streitwert bezüglich der Unterlassung.

Im Übrgen muss niemand eine Erklärung abgeben, wenn er das nicht will, oder wenn er unschlagbare Beweise hat, die es erlauben die Abmahnung sofort abzuwehren. (3,5% geschätzt.)

V - Die drei Petersen-Thesen

Hier beißt sich die schöne Instanz-Interpretationskatze in den Schwanz. Bislang bezieht sich die tatsächliche Vermutung ain der Instanzrechtsprechung seit dem Urteil des BGH vom 12.05.2010 nur noch auf die Täterschaft. Die Abmahner bekommen also ein "erleichterndes" Mittel zur Prozeßführung "geschenkt". Dafür müssen sie aber auf die weiteren Möglichkeiten so lange verzichten, bis der Abgemahnte oder Beklagte die genaue Verantwortlichkeit in der Sache darlegt und damit auch den eigentlichen Inhalt des Unterlassungsanspruchs, der dem Verletzten zusteht.   

In so fern ist die These No. 3 zwar sehr strittig (ein Urteil aus Hamburg oder Köln exisitiert nicht, geschweige denn eins, dass den BGH überdauert hätte), aber zumindest nachvollziehbar, wenn man die Rechtsprechung des BGH zu Grunde legt. Dass die Kanzlei Rasch hier "Hinweise" der mündlichen Art erhalten haben will ist jedoch angesichts der Rechtsprechung, die aus der tatsächlichen Vermutung nur den Täter sieht allerhöchstens lächerlich (in dieem Fall von den Richtern). Eine einfache "Verbesserung" des Textes und schon wäre man auch auf BGH-Niveau. Das muss jedoch nicht sein, weil sich um den BGH in diesem Punkt niemand kümmert. Am Gerichtsstandort München übergeht man gefissentlich auch die Rechtsprechung zum Thema W-LAN-Absicherung.

Ob der BGH nun die Urteilsbegründung zu "Morpheus" nutzt, um diem Instanzgerichtstheater die Leviten zu lesen? Ich kann das nur hoffen.

These No. 1 ist hiervon ebenso betroffen. wobei These No 2 in Bezug auf die Störerhaftung bezüglich Rechtsverletzungen, die durch Kinder begangen wurden gerade eben pulverisiert wurde.

VI - Seitenthesen 

Gerne wird behauptet der Vorgang der Klärung der Verantwortlichkeit zu einer Verletzung wäre mit Extrakosten verbunden, gerade wenn es um die Verantwortung im Bereich der Störerhaftung gehe. Mit der Realität, vor allem in Gerichtsverfahren hat dies jedoch nichts zu tun. Natürlich hätte jeder Geld-Gläubiger gerne, wenn er ein Komplettpaket aus vollständigem Sachverhalt, ab Besten noch übersichtlich und kurz in Form einer Schulderklärung erhält. Dabei ist es strategisch von Vorteil, wenn man behaupten kann, nur die Rechte der eigenen Mandantschaft im Auge zu haben (und die Fortbildung des Rechts und von mir aus noch die Rettung der Wale).

Nachdem was man aber nun in Karlsruhe am 15.11.2012 erlebt hat ... nicht einmal Urteile aus Köln oder Hamburg würden hier helfen. Hier und auch bei diesem Thema entscheidet allein für alle verbindlich der Bundesgerichtshof.