Dienstag, 3. Juni 2014

BGH - I ZR 169/12 - Urteil vom 08.01.2014


Natürlich freut es mich persönlich auserordentlich, heute "unser" BGH-Urteil kommentieren zu dürfen. Es ist für uns alle - die Verfahrensbeteiligten Kanzleien Riegger Rechtsanwälte, Ludwigsburg und Dr. Herbert Geisler, Karlsruhe, selbstverständlich den Revisionsführer, aber auch alle Mitstreiter und Mitspender die Bestätigung, dass sich ein langjähriges Engagement gegen eine als ungerecht empfundene Auslegung des Rechts (seit dem Jahr 2006) durch verschiedene Instanzgerichte lohnen kann.

I - Maßgeblicher Punkt

"Der Inhaber eines Internetabschlusses haftet grundsätzlich nicht als Störer auf Unterlassung, wenn volljährige Familienangehörige den Ihnen zur Nutzung überlassenen Anschluss für Rechtsverletzungen missbrauchen. Erst wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte für einen solchen Missbrauch hat, muss er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen ergreifen."

Zu diesem Punkt führt der BGH seine Rechtsprechung aus dem "Morpheus"-Urteil vom 15.11.2012 konsequent und verbrauchergerecht fort:

- Gegenüber minderjährigen Nutzern eines Internetanschlusses obliegt es dem Anschlussinhaber diese Nutzer zu belehren. Dies sollte insbesondere zu unerlaubten Handlungen jeder Art erfolgen, aber besonders die Warnung vor "Tauschbörsennutzungen" umfassen.

- Bei erwachsenen Nutzungsberechtigten besteht für den Anschlussinhaber jedoch keine anlasslose Belehrungs- und/oder Überwachungspflicht. Ist es also zu dem jeweiligen Nutzer noch nicht zu Auffälligkeiten gekommen (Erhalt einer Abmahnung), kann der Anschlussinhaber auch nicht zur Übernahme von Schadensersatz ("Sippenhaftung"), aber auch nicht von Rechtsanwaltskosten  verpflichtet werden.

Wir dürfen diese unmissverständliche Ordnung der bisherigen uneinheitlichen Rechtsprechung in Deutschland als sehr verbraucherfreundlich und "gerecht" einstufen.

II - Kritikpunkte 

Selbstverständlich gäbe es über den positiven "maßgeblichen Punkt" viel zu schreiben - es gibt aber auch eine Vielzahl von Kritikpunkten an der Entscheidung, die ich persönlich entwicklen muss.

1- Anders als noch in der mündlichen Verhandlung fehlt es dem Urteil an einer Klarstellung zum Thema der "Wirksamkeit"der Abmahnungen. Mehr noch - der Revisionsführer hatte Themen, wie eine mögliche "Rechtsmissbräuchlichkeit" des vorliegenden Abmahnsystems vorgebracht - es fehlt hier dem Urteil an allem.

2- Wie die Angelegenheit in Bezug zu weiteren Nutzungsberechtigten (WG-Situation, Vermieter, Freunde) erwachsenen Personen zu sehen ist - läßt der BGH offen, wenngleich hie für den Verbraucher positive Urteile nachgeschoben werden.

3- Die Erläuterungen des BGH zu dem Thema des Umfangs der "sekundären Darlegungslast" hingegen bedürfen einer Überprüfung und Konkretisierung. (Es sind hier weitere Gerichtsverfahren vor dem BGH und dem Bundesverfassungsgericht anhängig.)

RA Mathias Straub von der Kanzlei Riegger schreibt: "Der Anschlussinhaber ist im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen verpflichtet und muss zu diesen Punkten vortragen. Aus dem Vortrag muss sich ergeben, ob andere und falls ja, welche Personen Zugang zum Internetanschluss hatten und als Täter in Betracht kommen. Mehr nicht." Dies kann ich so nicht sehen. 

Der BGH bezieht sich einerseits auf eine "Recherchepflicht" des Abgemahnten. ( "Liegt ein qualifiziertes Verschulden aufgrund des Parteivorbringens nahe, muss der beklagte ..... Angaben zu den näheren Umständen der Schadensentstehung machen. Er muss insbesondere mitteilen, welche Kenntnisse er über den konkreten Schadensverlauf hat und welche Schadensursachen er ermitteln konnte. Ihn trifft mithin eine Recherchepflicht (BGH, TranspR 2012, 463 Rn. 18 mwN).") Mit dieser Begründung zieht der BGH Pflichten einer "Firma" zu den Privathaushalten, ohne zu bedenken, dass a) Zeugnisverweigerungsrechte bestehen und b) das viele Anschlussinhaber zu solchen Ermittlungen nicht fähig sind. 

Der BGH zitiert dabei insbesondere die Urteile des LG München (erstaunlich - das OLG München wird trotz Konkretisierung nicht zitiert) und OLG Köln, die von diesen Gerichtsständen (München  bis heute) faktisch bedeuten, dass ein Täter in jedem Fall genannt werden muss und man im Umkehrschluss keinerlei Chance hat, wenn man den Täter nicht nennen kann. Allerdings gibt es keine besondere Beleuchtung der Sache durch den BGH, der eben lapidar bemerkt, der Beklagte habe ja einen Täter benannt und somit seiner Darlegungslast genügt. Hier hat der BGH einerseits und halbdirekt ein scharfes Vorgehen von Gerichten in der Tendenz bestätigt, aber durch die "Halbdirektheit" verabsäumt die aktuelle und vollständig uneinheitliche Rechtsprechung einer einheitlichen Lösung zuzuführen. Es wird also letzlich dem Tatrichter selbst überlassen, wie weit er die Grenze setzt und welchen Vortrag er nun als ausreichend erachtet, so dass wir weiterhin bei vollständig unterschiedlicher Bewertung von gleichen Vorträgen und Fällen bleiben werden.

4. Nichts zur Frage eines angemessenen Schadensersatzes.