Samstag, 5. November 2011

Kanzlei Rasch nimmt Berufung zurück.

Große Spannung im Saal 12 des Oberlandesgerichts Stuttgart am 26.10.2011. Verhandelt wurde über die Berufung (Az.: 4 U 126/11) der Kanzlei Rasch gegen eine Klageabweisung des Landgerichts Stuttgart (Urteil vom 28.06.2011, Az.: 17 O 39/11)

Das Landgericht hatte eine Klage der Kanzlei Rasch, tätig für die vier führenden deutschen Tonträgerhersteller, auf Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von EUR 2.230,80 und Lizenzschadenersatz in Höhe von EUR 3.000,00 zurückgewiesen. Beklagt war ein Ehepaar, das den Anschluss gemeinsam inne hatte. Zudem wohnhaft waren an der Adresse der Anschlussinhaber die beiden zum angeblichen Tatzeitpunkt 13 und 18 Jahre alten Kinder. Insgesamt wurde durch die ProMedia GmbH angeblich zu fünf unterschiedlichen Zeitpunkten in den Jahren 2006 und 2007 Rechtsverletzungen (das Zurverfügungstellen von insgesamt jeweils ca. 250 Audio-Dateien) über den Anschluss der Beklagten ermittelt. Die damaligen Ermittlungen der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft ergaben, dass die dabei festgestellte IP-Adresse angeblich jeweils dem Anschluss der Beklagten zugeordnet gewesen sein soll. Im Zuge dieser damaligen Ermittlungen besuchte ein Beamter der Kriminalpolizei den Haushalt der Beklagten. Bei diesem Besuch wurde ihm der zum damaligen Zeitpunkt einzige im Haushalt befindliche PC gezeigt. Zudem wurde ihm eine Überprüfung dieses PCs ermöglicht. Der Kriminalbeamte konnte bei dieser Untersuchung jedoch weder verdächtigte Audio-Dateien noch eine Installation von Filesharing-Software auf diesem Computer feststellen.

Die Beklagten haben stets und bis zuletzt beteuert, mit der Ihnen zur Last gelegten Rechtsverletzung nichts zu tun zu haben. Sie haben zudem nach eindringlicher Befragung ihrer Kinder angegeben, dass auch die Kinder mit dieser Tathandlung nichts zu tun hatten. Das im Haushalt installierte WLAN-Netzwerk wies den zum damaligen Zeitpunkt üblichen Verschlüsselungsstandard WPA2 mit personalisiertem Passwort auf.
Das Landgericht konnte aufgrund dieser Sachverhaltsschilderung keine nachweisbare Verantwortlichkeit der Beklagten für die behaupteten Rechtsverletzungen erkennen. Die letztliche Beweislast hierfür treffe die Klägerinnen. Zwar ergebe sich aufgrund der BGH-Rechtsprechung (BGH, GRUR 2010, 633 - „Sommer unseres Lebens“), dass ein Anschlussinhaber, von dessen Anschluss ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei, eine sekundäre Darlegungslast trage. Dieser sekundären Darlegungslast seien die Beklagten allerdings in ausreichendem Umfang nachgekommen, indem sie umfassend zum Sachverhalt und der persönlichen Situation sowie der Nutzung des Computers vorgetragen hätten. Zudem habe sich dieser Vortrag durch die Untersuchung des Kriminalbeamten bestätigt. Aus diesem Grund sei keine nachweisbare Rechtsverletzung durch die Beklagten oder für diese zurechenbar über deren Anschluss feststellbar. Es bleibe daher bei der Beweislast der Klägerinnen, der diese nicht nachgekommen seien. Die Klage wurde somit in vollem Umfang abgewiesen.

Mit ihrer Berufung hiergegen wendeten sich die Klägerinnen vor allem dagegen, dass die Beklagten sich lediglich auf Schutzbehauptungen stützen würden. Sie seien ihrer Beweislast zur Entlastung gegenüber dem Tatvorwurf nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen. Die Untersuchung des Kriminalbeamten sei nicht fachmännisch durchgeführt worden. Es spreche aufgrund der mehrfach festgestellten Rechtsverletzungen eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Beklagten für die Tathandlung selbst verantwortlich seien. Diese Vermutung hätten die Beklagten nicht erschüttern können. Sie hätten zudem keinen glaubhaften Alternativsachverhalt aufgezeigt, unter dem sich die Rechtsverletzung dann erklären lasse.

Zur Berufungsverhandlung hatte das Oberlandesgericht die Beklagten nochmals persönlich geladen. Es fand somit zunächst eine weitere informatorische Anhörung der Beklagten zu den Verhältnissen innerhalb der Familie statt. Hierbei bestätigten die Beklagten nochmals, dass es zu den damaligen angeblichen Tatzeitpunkten nur einen PC und keine weiteren Rechner oder Laptops im Haushalt der Beklagten gegeben habe. Die Internetnutzung der Kinder sei durch sie in üblichem Umfang kontrolliert und reglementiert worden. Es habe vorgegebene Zeiten gegeben, zu denen die Kinder das Internet nutzen durften. Der Rechner habe sich im gemeinsam benutzten Büro bzw. Gästezimmer des Hauses befunden. Dieses liege neben dem Wohnzimmer. Somit sei auch eine gelegentliche Kontrolle der Internetnutzung der Kinder möglich gewesen und habe statt gefunden. Die Kinder hätten das Internet für jugendübliche Zwecke genutzt, insbesondere Nutzung von Chatprogrammen wie icq bzw. Recherchen für die Schule oder ähnliches.

Auch sei mit den Kindern darüber gesprochen worden, was im Internet erlaubt sei und was nicht. Den Kindern sei bekannt gewesen, dass sie keine Musik aus dem Internet illegal herunter laden durften. Stattdessen hätten sie auch Geld bekommen, um sich beispielsweise CDs zu kaufen oder ähnliches. Eine ständige dauerhafte Kontrolle in dem Sinne, dass man immer dahinter gestanden habe, habe es allerdings nicht gegeben. Auch habe es keine getrennten Benutzerkonten auf dem Rechner gegeben. Die Beklagten beteuerten nochmals, dass sie keinerlei Anlass hatten oder haben, davon auszugehen, dass die Kinder Rechtsverletzungen im Internet begangen haben. Es habe bis zu diesem Zeitpunkt innerhalb dieser Familie keinerlei Auffälligkeiten (beispielsweise in der Schule) gegeben. Die Eltern gingen auch nach wie vor davon aus, dass die Aussage der Kinder ihnen gegenüber, keine Rechtsverletzung dieser Art begangen zu haben, zutreffend und ehrlich sei.

Nach nochmaliger Würdigung dieser Darlegungen der Beklagten äußerte sodann das Oberlandesgericht seine vorläufige Rechtsauffassung zu den hier relevanten Streitfragen.

Dabei orientierte sich das Oberlandesgericht zu großen Teilen an der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Sommer unseres Lebens“. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart seien auch durch diese Entscheidung bereits sämtliche hier zu erörterten Rechtsfragen abschließend geklärt, weswegen eine Zulassung der Revision nicht in Betracht komme.

Erste zu klärende Frage war sodann, ob eine Vermutungswirkung dafür bestehe, dass die Anschlussinhaber, also hier die Beklagten, zunächst als Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung zu betrachten seien. Nach klarer Aussage des Oberlandesgerichts fehlt es aber jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation an einer solchen Vermutungsgrundlage. Dies möge eventuell anders ein, in einer Situation, in der eine einzige Person alleine einen Internetanschluss nutzt. Hier sei es aber bereits formell so, dass der Internetanschluss auf zwei Personen, nämlich die Eheleute gemeinsam, registriert sei. Somit fehle es bereits an einer Vermutungsgrundlage dafür, dass eine einzelne konkrete Person die Rechtsverletzung begangen habe. Hinzu komme vorliegend, dass, wie letztlich in allen Fällen, in denen Internetanschlüsse durch Familien gemeinsam genutzt werden, es eben die Lebenswirklichkeit sei, dass mehrere Personen gemeinsam einen Anschluss nutzen, der dann aber doch nur auf eine oder einzelne Personen registriert ist. Auch in solchen Fällen könnte, so die Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart, keine Vermutungswirkung dafür bestehen, dass stets der formelle Anschlussinhaber Täter der dann begangenen Rechtsverletzung sei.

Bezüglich gerade der Haftung von Familien führte das Oberlandesgericht Stuttgart mit klaren Worten aus, es gebe eben im deutschen Recht (Zivil- oder Strafrecht) keine „Sippenhaftung“.

Zudem sei im vorliegenden Fall durch die Untersuchung des Kriminalbeamten ohnehin eine solche Vermutungsgrundlage, falls sie denn bestehen sollte, widerlegt. Es erfolgte der prägnante Hinweis an den Klägervertreter, dass auch im Süddeutschen Raum Kriminalbeamte nicht so blöd seien, wie die Klägerinnen offenbar annehmen. Es sei somit durchaus davon auszugehen, dass ein Kriminalbeamter eine Untersuchung eines Rechners insoweit fachmännisch vornehmen könne, um festzustellen, ob sich hierauf verdächtige Dateien der hier relevanten Art befänden.

Das Oberlandesgericht kam somit auf erster Stufe der Prüfung zu dem Ergebnis, dass eine täterschaftliche Begehung der Beklagten ausscheide und es auch hierfür keine Vermutungsregelung in der vorliegenden Konstellation geben könne.

Sodann prüfte das Oberlandesgericht, ob eine täterschaftliche Haftung unter dem Aspekt der Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht in Betracht käme. Auch diese Frage wurde in der BGH-Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ thematisiert, dort aber verneint. Ebenso sah es das Oberlandesgericht Stuttgart. Denn die Haftung im Urheberrecht knüpfe an eine täterschaftlich begangene Urheberrechtsverletzung an, nicht, wie möglicherweise im Lauterkeitsrecht die Eröffnung einer nicht hinreichend begrenzten Gefahr. Zudem verfolge ein Internetanschlussinhaber auch kein eigenes geschäftliches Interesse.

Somit war auf erster Prüfungsebene klar, dass eine täterschaftliche Haftung der Beklagten nicht in Betracht käme.

Sodann eröffnete sich jedoch das weitere Prüfungsfeld der sogenannten Störerhaftung. Die Frage sei hier, so das Oberlandesgericht Stuttgart, ob die Beklagten durch die Anschaffung und Zurverfügungstellung eines PCs eine Art „Gefahrenquelle“ geschaffen haben. Wenn dies der Fall sei, hätten die Beklagten möglicherweise bestimmte Prüf- und Kontrollpflichten, um dieser Gefahr zu begegnen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart ergibt sich aus der genannten BGH-Entscheidung, dass der Umfang solcher Prüf- und Kontrollpflichten sich jeweils nach den Umständen dessen bestimmt, was dem in Anspruch Genommenen zumutbar sei. Dies sei also eine Einzelfallabwägung, die in jedem konkreten Fall gesondert vorgenommen werden müsse. Aus diesem Grund sei auch kein Fall gegeben, in dem eine Revision zuzulassen sei.

Im vorliegenden Fall sei die Konstellation nach Würdigung des ausführlichen Sachvortrages der Beklagten, die Folgende: Es handele sich um eine Familie, die bis zu diesem Zeitpunkt „funktioniert habe“. Auch sei zu berücksichtigen, dass eine Familie ein grundsätzlich geschützter Bereich sei. Da es für die Beklagten keinerlei Anlass gegeben habe, von der Begehung von Rechtsverletzungen auszugehen, sei auch nicht erkennbar, dass hier in erheblichem Umfang Prüf- oder Kontrollpflichten verletzt worden seien. Das Gericht stellte an dieser Stelle den Vergleich auf, dass Eltern ihre Kinder beispielsweise auch Roller oder Fahrrad fahren lassen dürfen. Falls sie hierbei erkennen, dass die Kinder dieses Verhalten noch nicht ausreichend beherrschen, bestünde dann wohl eine Pflicht, einzugreifen. Anhaltspunkte für eine solche Erkenntnis habe es aber im hier vorliegenden Fall eben nicht gegeben. Im Ergebnis bleibe es somit dabei, dass eine Verantwortlichkeit der Beklagten, auch unter Gesichtspunkten der sogenannten Störerhaftung, nicht festgestellt werden könne.
Dabei verkannte das Oberlandesgericht nicht, dass in Konstellation der vorliegenden Art tatsächlich möglicherweise große Nachweisschwierigkeiten der Klägerinnen bestehen können. Letztlich sei es aber doch eben so, dass die Klägerinnen Ansprüche gegenüber den Beklagten erheben und durchsetzen möchten. Es werde hier eine erhebliche Zahlung gefordert. Hierbei gelte immer noch der allgemeine Grundsatz, dass vor Gericht im Zweifel bewiesen werden müsse, dass geltend gemachte Ansprüche bestehen. Könne dieser Beweis nicht erbracht werden, könne eben keine Verurteilung erfolgen. Dies gelte auch, wenn die Nichteinbringlichkeit des Beweises darauf beruhe, dass auf Beklagtenseite aufgrund des Familienverbundes ein besonders geschützter Bereich vorliege. Dieses Risiko treffe die Klägerseite. Es sei nicht Aufgabe der Beklagtenseite den ansonsten nicht zu führenden Beweis dann für die Klägerseite zu erbringen. Dies gelte allgemein und das Gericht sehe auch keinen Anlass dazu, ausgerechnet im Bereich der Urheberrechtsverletzung hier vollständig andere Maßstäbe anzusetzen, als in jeglichem anderen Rechtsgebiet.
Konsequenterweise regte das Oberlandesgericht daher dringend an, seitens der Klägerinnen die Berufung zurückzunehmen. Dies sei auch im Hinblick darauf, dass für die Beklagten sich dieser nun seit fast viereinhalb Jahren andauernde Rechtsstreit endlich erledige, angebracht.

Der Klägervertreter erklärte daraufhin, dass die Berufung zurückgenommen werde.

Eigene Anmerkung:
Die in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart ist erfreulich pragmatisch und lebensnah. Lediglich bedauerlich ist, dass diese nun aufgrund der Berufungsrücknahme sich nicht in einem ausführlichen Urteil in den Entscheidungsgründen wiederfinden lässt. Dennoch bleibt zu hoffen, dass auch andere Gerichte in Zukunft einen realitätsnäheren Ansatz bei der Bewertung vergleichbarer Konstellationen wählen.

(Ludwigsburg, 04.11.2011, Autor: Mathias Straub, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht)