Dienstag, 13. Dezember 2011

LG Berlin 15 O 1/11 + 15 O 2/11, Urteile vom 29.11.2011

Bevor ich zu den wohl mit erstaunlichsten Urteilen im Bereich der Filesharing-Abmahnungen im Jahr 2011 komme, möchte ich dem Herrn Rechtsanwalt Volker Küpperbusch, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht herzlichst zu der Bestellung zum Notar gratulieren. Ich wünsche ihm weiterhin viel Erfolg und alles Gute.

Die Urteile des Landgerichts Berlin sind nicht rechtskräftig. Es dürfte im Frühjahr 2012 zur Berufung vor dem Kammergericht Berlin kommen. Aufgrund der rechtlichen Dimension ist eine Revision des Bundesgerichtshofs nAdV absolut zwingend.

Die Klagen selbst weichen stark vom üblichen Muster von Filesharingklagen ab. Daher sind intensive Besprechungen der einzelnen Bereiche notwendig. Nach dieser Einleitung wird ausführlich über den Bereich "Ermittlungen" zu sprechen sein, der unabhängig von den weiteren Teilen zu sehen ist. Das bedeuted, die Klägerinnen verloren den Rechtsstreit in jedem der einzelenen Bereiche (wie Täterhaftung, Aktivlegitimation). Ende der Woche folgt der zweite Teil des Berichts.

Teil I - Anträge

Eine Feststellung des Streitwerts ist nicht erfolgt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass das Gericht den Streitwert beläßt: Der Streitwert zu 15 O 1/11 läge bei 5.982,00€; zu 15 O 2/11 bei 6.150,00€. Hierbei lagen handelsübliche "Computerspiel-Abmahnungen" den Klagen zu Grunde. Es kann sich bei diesen Summen jeder denken, welche Signalwirkung ein Scheitern des Beklagten bedeuted hätte. Von daher war es absolut die richtige Entscheidung des Beklagten vollständig professionell arbeitende Vertreter mit der Führung des Verfahrens zu betreuen. An dieser Stelle auch der Dank für das Vertrauen.

Die Klagen wurden vom Landgericht Berlin vollständig abgewiesen. Beantragt wurde von der jeweiligen Klägerin:

1. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser dadurch entstanden ist, dass der Beklagte das Computerspiel "X." ohne Einwilligung der Klägerin in P2P-Netzwerken zum Herunterladen bereit gehalten hat.
2. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin über den Umfang der Verletzungshandlungen geordnet Auskunft zu erteilen und zwar unter der Angabe
a)~ soweit bekannt - von Dritten, die das Computerspiel "X." von dem Beklagten erhalten haben, dies unter Datumsangabe und namentlicher Nennung derselben und deren Anschriften,
b) der Verbreitungswege, insbesondere der Filesharingbörsen, auf denen das Computerspiel "X." von dem Beklagten zum Herunterladen bereit gehalten wurde,
c) die Zeiträume, in denen das Computerspiel "X." von dem Beklagten zum Herunterladen bereit gehalten wurde.
3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Teischadensersatz über 650,00€/468,00€, nebst Zinsen ... seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Die Klage war erkennbar auf eine eigene Täterschaft oder Teilnahme an der Rechtsverletzung, nicht aber auf eine Haftung des Beklagten als Störer gestützt. Wer nun denkt, es hätten der Klägerin Indizien vorgelegen, die eine solche Klagefassung gerechtfertigt hätten, liegt falsch. Der Beklagte hatte kein Schuldeingeständnis in welcher Form auch immer geäußert. Er hatte auch eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben und nicht das vom Abmahner mitgesandte Orginal verwendet. Die Klage wurde insofern "ins Blaue hinein" gegen eine Person gerichtet, ohne das der Abmahnkanzlei bekannt war, wie die tatsächlichen Verhältnisse liegen, was die Verteidigung erschwerte, wenn man bedenkt wie verschiedene Urteile des LG Köln aussehen.

Teil II - Die Ermittlung

Voran gestellt sei, dass dieses Gericht sich überaus intensiv mit den Beweismitteln, die die Klägerinnen anboten beschäftigt hat. Die Richter sahen sich auch in der Lage ohne die andernorts üblichen Ausreden (Sachverständigengutachten) Beweismittel logisch einzuordnen.

Das Landgericht Berlin stellte in den Urteilen fest: Gegen die Bedenken des Beklagten zum Thema "öffentliche Zugänglichmachung" i. S. d. § 19a UrhG, bestünde kein Zweifel, dass das Bereithalten eines Computerspiels in einer sog. Tauschbörse zum Herunterladen ein solcher Fall wäre. Erste Vorraussetzung eines auf diesen Vorgang gestützten Schadensersatzanspruchs sei aber die Feststellung, dass das Computerspiel tatsächlich über den Internetanschluss des Beklagten zum Herunterladen angeboten wurde. Die Klägerinnen seien aber Ihrer Last, die dafür erforderlichen Umstände darzulegen nicht nachgekommen. Das Vorbringen der Klägerinnen ließe nicht auf ein sicheres Funktionieren und Ablaufen des Ermittlungsverfahrens schließen.

Man ließt richtig. Es sind zudem Paralellen mit der aktuellen Lage "in München" zu erkennen. Wie auch bei den dortigen Klagen der "Musik- und Hörbuchindustrie" suchten die Klägerinnen in Berlin mit der Vorlage einer Reihe von Zeitpunkten ("Sekundenzeiträumen") dem Gericht darzulegen, es sei über eine Verletzungshandlung "über Tage hinweg" gekommen. Die Berliner Richter konnten aus dem Vortrag nicht erkennen, ob es sich bei dem fest gestellten Angebot um eine voll funktionsfähige Version des Werkes handelte, oder etwa ein mehr oder weniger kleiner Ausschnitt. Sie rügten, dass sich die Eidesstattliche Versicherung eines Mitarbeiters der bekannten und vom BGH "geadelten" L. AG nur auf einen Teil der Ermittlungen beziehe. Sie stellten zudem fest, dass keine tatsächlichen Ahnhaltspunkte vorlägen, der angebotene Zeuge habe sämtliche der in Frage kommenden Überprüfungsschritte höchstpersönlich vorgenommen. Auch sei offen geblieben, wie der Zeuge durch einen "manuellen Abgleich" einer im Internet aufgefundenen Datei mit einem bestimmten Hashwert mit einer Orginal-Datei feststellen will, dass es sich bei der angebotenen Datei um eine voll funktionsfähige Version des Werkes handeln würde.

Im Weiteren wurde den Richtern des LG Berlin zu Folge durch die Klägerinnen nicht substantiiert dargetan, dass die vermendete Software unter den Umständen des Einzelfalls zuverlässig funktioniert. Die Richter stellten fest, dass die als Anlage bei gelegte "Funktionsbeschreibung" des Programms nicht als Gutachten gelten könne. Es handle sich hierbei vielmehr um ein "vom Verwaltungsrat der Anwenderin erstelltes Papier, dass die Qualifikation des Verfassers für derartige Äusserungen offen lasse". Die "Funktionsbeschreibung" umfasste die Netzwerke "Gnutella und EDonkey", hingegen habe die Tathandlung über einen "u-torrent-client" statt gefunden. Es sei daher nicht festzustellen, dass die Funktionsbeschreibung auf für diesen Einzelfall Geltung beanspruchen könne. In der Folge bedeutete das Gericht den Klägerinnen, dass die Erwähnung von Gutachten in anderen ("irgendwelchen") Fällen und Gerichtsvefahren nicht geeignet sei ein Präjudiz zu schaffen oder konkreter Sachvortrag im vorliegenden Fall zu ersetzen sei.

Zum Thema des Bestreitens einer Ermittlung äußerte das Gericht deutlich, dass ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO absolut zulässig sei. Die Funktionsweise eines Programmes sei nicht Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung. Der Beklagte habe mangels Offenlegung der Programme auch keine andere Möglichkeit des Bestreitens. Als Bestreitensbasis wurde zudem der Aufsatz von Morgenstern, CR 2011, Seite 203ff zugelassen, dem zu entnehmen sei, das die Zuverlässigkeit der Ermittlungssoftware der L. AG differenziert zu betrachten sei und zudem bekannt gewordene Begutachtungen der Software als technisch unzureichend beurteilt werden. Der Beklagte habe sich hier nicht näher mit Hilfe externen Expertenwissens einzulassen.

En detail führte das Gericht weiter aus,




... womit der Teil - II nun abgeschlossen ist.

Kommentar: Es wäre natürlich wünschenwert gewesen, wenn sich bereits andere Gerichte mit den teils schlampigen, teils gutsherrlichen Vorträgen im Bereich Ermittlung so intensiv beschäftigt hätten.

1 Kommentar:

  1. Danke @Shual für die Veröffentlichung dieses (hoffentlich) wegweisenden Urteils, welches wünschenswerterweise auch in den nächsten Instanzen noch Bestand hat. Eine derartig differenzierte Betrachtung habe ich bei den gesamten Filesharing-Urteilen bis jetzt noch nicht gesehen...

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