Die Kanzlei des Dr. Martin Bahr berichtet von einem Urteil des LG Hamburg in Sachen Störerhaftung bei Rechtsverletzungen im Internet durch erwachsene Dritte. Auch bei diesem Urteil ist zu erwarten, dass Schreiben an abgemahnte Nichtzahler (Bettelbriefe) oder Schriftsätze in Verfahren mit diesem Urteil mustertextbausteinmäßig aufgeplustert werden.
Denn diese Entscheidung erstreckt sich natürlich nicht nur auf die sogleich besprochene Frage, sondern auf alle erwachsenen Nutzungsberechtigten, die nicht in direkter Abstammung von dem jeweiligen Anschlussinhaber stehen (Söhne/Töchter, ggfs. Enkel/Urenkel), oder mit diesem verheratet sind + in einer Beziehung leben, also auf Freunde/Mieter/Nachbarn/Neffen+Nichten, etc.... Diese seien jeweils vor der Nutzung eines Internetanschlusses speziell zu den Risiken des Filesharings zu belehren. Die Richter stützen sich hier auf den von mir bereits nach Veröffentlichung des Urteils des BGH vom 08.01.2015 angesprochenen "Kritikpunkt": "Wie die Angelegenheit in Bezug zu weiteren Nutzungsberechtigten (WG-Situation, Vermieter, Freunde) erwachsenen Personen zu sehen ist - läßt der BGH offen, ...". Allerdings ist die Interpretation des LG Hamburg, der BGH habe damit zum Ausdruck gebracht, es bestünde damit eine Belehrungspflicht nicht ausreichend begründet.
Die Richter des LG Hamburg verkennen jedoch (offensichtlich im Kampf um die Musikindustriegelder gegen den Medienstandort München) die tatsächliche rechtliche Situation der nuctzungsberechtigten Nichte. Denn zu dem diskutierten Begriff der "Familienangehörigkeit" hat sich der BGH bereits ausführlich geäußert: "Denn der Gesetzgeber hat den Begriff der Familienangehörigen in § 573
Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht näher bestimmt; auch aus den Gesetzesmaterialien
ist für dessen Auslegung nichts zu entnehmen. Die generelle
Einbeziehung von Nichten und Neffen in den Kreis der privilegierten
Familienangehörigen ist aber vor dem Hintergrund anderer Regelungen der
Rechtsordnung gerechtfertigt, in denen ebenfalls Familienangehörige
allein aufgrund ihrer engen verwandtschaftlichen Beziehung privilegiert
werden, ohne dass eine tatsächlich bestehende persönliche Verbundenheit
im Einzelfall nachgewiesen werden muss. Einen Anknüpfungspunkt dafür,
wie weit der Kreis der Familienangehörigen in diesem Sinn zu ziehen ist,
bieten die Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht aus
persönlichen Gründen (§ 383 ZPO, § 52
StPO), in denen der Kreis der privilegierten Familienangehörigen -
unabhängig vom tatsächlichen Bestehen persönlicher Bindungen -
konkretisiert wird. Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO steht ein Zeugnisverweigerungsrecht - neben Verlobten, Ehegatten und Lebenspartnern (§ 383 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 2a ZPO, § 52
Abs. 1 Nr. 1, 2 und 2a StPO) - auch denjenigen zu, die mit einer Partei
in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, sowie denjenigen, die
in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten
Grad verschwägert sind oder waren. Damit gehören auch Nichten und Neffen
noch zu dem Personenkreis, dem allein aufgrund enger
verwandtschaftlicher Beziehung zur Partei ein Zeugnisverweigerungsrecht
zusteht. In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber
Nichten und Neffen ohne Weiteres noch als enge Familienangehörige
ansieht. Diese gesetzgeberische Wertung ist bei der Auslegung des § 573
Abs. 2 Nr. 2 BGB zu berücksichtigen und rechtfertigt es, Nichten und
Neffen auch hier in den Kreis der privilegierten Familienangehörigen
einzubeziehen. Bei ihnen bedarf es deshalb - ebenso wie bei Geschwistern
des Vermieters (Senatsurteil vom 9. Juli 2003, aaO)
- über die Tatsache der Verwandtschaft hinaus nicht eines zusätzlichen
einschränkenden Tatbestandsmerkmals wie etwa einer tatsächlich
bestehenden engen sozialen Bindung zum Vermieter. Es kommt deshalb im
vorliegenden Fall nicht darauf an, dass nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts eine enge persönliche Beziehung zwischen der Klägerin
und ihrer Nichte als ihrer einzigen noch lebenden Verwandten tatsächlich
besteht." (BGH, Urteil vom 27. 1. 2010 - VIII ZR 159/09, Rn. 33) Das LG Hamburg ignoriert diese Entscheidung zu dem Begriff "Familienangehöriger" intensivst. Man verweist statt dessen darauf, dass die Nichte "nicht als „Familienangehörige" im Sinne des Art. 6 I GG anzusehen (sei), so
dass sie nicht in das vom BGH erwähnte „- auch grundrechtlich geschützte
(Art. 6 Abs. 1 GG) - besondere Vertrauensverhältnis zwischen
Familienangehörigen" einbezogen ist." Hiebei liegt man jedoch vollständig falsch. Denn das Bundesverfassungsgericht hat bereits ausreichend klar gestellt, dass intensive Familienbindungen nicht nur
im Verhältnis zwischen heranwachsenden Kindern und Eltern
auftreten, sondern sind auch zwischen Mitgliedern einer
Generationen-Großfamilie möglich sind. Besondere Zuneigung und
Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander,
Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft können insbesondere
im Verhältnis zwischen Enkeln und Großeltern, aber auch
zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie zum Tragen
kommen. Bestehen zwischen nahen Verwandten tatsächlich von
familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindungen, sind
diese vom Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst. (vgl. zB Beschluss des Ersten Senats vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 -). Das LG Hamburg löst jedoch dieses Problem hiermit: "Es kann auch nicht darauf ankommen, ob zwischen ihr und der Beklagten
ein Vertrauensverhältnis wie zwischen Eltern und ihren Kindern besteht.
Denn ein solches Kriterium ließe sich mit den Mitteln des Zivilprozesses
kaum aufklären und würde zu unerträglicher Rechtsunsicherheit führen." (Unerträglich ist allein einen solchen Satz überhaupt zu denken.)
Praxisbeispiel zum Ende: Die Beklagte hätte demnach zwar eine Miet-Einliegerwohnung mit Internetzugang über den eigenen Router für die Nichte kündigen dürfen, da die Nichte Familienangehörige ist. Da die Nichte aber nicht Familienangehörige ist, muss sie hernach in der Nutzung des bereit gestellten W-LAN-Anschlusses unterwiesen werden.
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