Kürzlich sorgte Rechtsanwalt Dr. Ralf Petring von der Kanzlei Dr Wendt & Partner GbR in Bielefeld für Aufsehen, als er einen überaus richterfreundlichen Bericht über die Zustände am Amtsgericht München veröffentlichte. Am Samstag, den 04.02.2012 legte er nun erläuternd nach. [Weiterführender Link]
Heute Abend konterte der Bielefelder Rechtsanwalt und Notar Volker Küpperbusch, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht von der Kanzlei Dr. Stracke, Bubenzer & Kollegen mit einer sehr kritischen Antwort, die hier im Volltext wieder gegeben wird:
Stellungnahme zum Artikel "Differenzieren und argumentieren lernen heißt siegen lernen" und "Überraschende Tauschbörse von Argumenten"
I. Zur Überschrift
Schon die Überschrift der erweiterten Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Petring wirft erste Fragen auf. Der erste Artikel beschäftigte sich mit einer Verhandlung vor dem Amtsgericht München, welche in einem Vergleich endete, dessen tatsächlicher Inhalt nicht mitgeteilt sondern skizziert wird.
Ob dieser Vergleich ein Sieg oder eine Niederlage in wirtschaftlicher Hinsicht darstellt, insbesondere wenn man die Kosten des eigenen Anwalts und die Reisekosten mitrechnet (es soll Kostenaufhebung vereinbart worden sein, jeder trägt also seine Kosten selbst) bleibt offen.
Ein Vergleich jedenfalls ist grundsätzlich kein Sieg, sondern eine Vereinbarung, die zumindest teilweise auch eine Niederlage darstellt.
II. Zur Verhandlungsführung des Amtsgericht München
Der Schreiber dieser Zeilen nimmt für sich in Anspruch, eine Vielzahl von Prozessen geführt zu haben, die sich sowohl mit zivilrechtlichen Fragestellungen als auch mit urheberrechtlichen Fragestellungen befassten. Unter Anderem im letzten Jahr Verhandlungen vor dem Landgericht Hamburg und dem Landgericht Berlin, die nicht in Vergleichen, sondern in klageabweisenden Urteilen endeten.
In sämtlichen Prozessen waren die Richter selbstverständlich bereit, sich Argumente anzuhören. Dies ist keine Besonderheit, sondern richterliche Pflicht und in einem Rechtsstaat zu erwarten. Nicht umsonst gibt es den Grundsatz rechtlichen Gehörs.
Die Tatsache, dass es im Hinblick auf das Amtsgericht München besonderer Erwähnung bedarf, dass dies dort auch so gehalten wird, ist bereits bedenklich und zeigt ein gewisses Misstrauen in die dortige Rechtsprechung.
Es gab vor dem Bericht des Rechtsanwalts Dr. Petring mehrere Anlässe, die einen auch objektiven Anlass gaben, eine gewisse Tendenz des Amtsgerichts München im Bereich Filesharingfälle festzustellen.
Dazu zählt insbesondere die Pressemitteilung des Amtsgerichts selbst, in welcher sich eine ausweislich des Urteils des BGH vom 12.05.2010 "Sommer unseres Lebens" rechtlich völlig an der Sache vorbeigehende Vermischung von Täter- und Störerhaftung fand.
Link: http://www.justiz.bayern.de/gericht/ag/m/presse/archiv/2011/03259/index.php
Dort fand sich folgende erstaunliche Erkenntnis:
"Hatte er (der Anschlussinhaber) seinen Internetzugang nicht ausreichend gesichert, entsprach der Schutz zum Zeitpunkt der Einrichtung auch nicht dem Stand der Technik, kann er auch auf Schadenersatz verklagt werden. Dieser bemisst sich im Regelfall nach der ansonsten angefallenen Lizenzgebühr."
Dies ist falsch, zeigt aber die Tendenz des Amtsgerichts München in Urhebersachen eindrucksvoll auf. Natürlich kann er verklagt werden. An sich schuldet der Störer aber gerade keinen Schadensersatz, die Klage wäre also zwingend abzuweisen.
Wenn Dr. Petring diesbezüglich die Worte prägt, "bange machen gilt nicht", so fragt sich, welchen Sinn solche Pressemitteilungen eines Amtsgericht ansonsten haben sollten. Was veranlasst ein Amtsgericht zu Pressemitteilungen, deren rechtlicher Inhalt mit dem einschlägigsten Urteil des BGH zu diesem Thema nicht in Übereinstimmung zu bringen ist? Eine aus meiner Sicht interessante und völlig offene Frage.
Dr. Petring schließt zu diesem Thema selbst wie folgt:
"Schließlich verlangt eine differenzierte Betrachtung des Themas "Tauschbörsen vor Gericht" auch eine Differenzierung hinsichtlich der jeweils geltend gemachten unterschiedlichen urheberrechtlichen Ansprüche: Wer vielleicht urheberrechtlich Unterlassung einer zukünftigen öffentlichen Zugänglichmachung oder – davon zu unterscheiden – der zurechenbaren Ermöglichung einer urheberrechtwidrigen öffentlichen Zugänglichmachung durch Dritte – beanspruchen kann, dem steht dennoch keineswegs in jedem Fall der zusätzlich geltend gemachte Anspruch auf Erstattung vermeintlich entstandener Rechtsanwaltskosten zu (oder in der verlangten Höhe zu). Und der kann schon gar nicht in jedem Fall verschuldensabhängige Schadensersatzansprüche (zumal in unangemessener Höhe) durchsetzen. Die Abmahnungslobby vermischt in dem Zusammenhang gerne Täter- und Störerhaftung. Auch hier heißt es manches Mal: Differenzieren und argumentieren lernen heißt siegen lernen."
Vor allen Gerichten in Deutschland ist zu verzeichnen, dass man sich zunehmend differenziert mit den Fragen nach berechtigten Ansprüchen, Streitwerthöhen und der Frage nach Störer oder Täter einer Handlung auseinandersetzt. In München dagegen wird sogar eine Pressemeldung verbreitet, die ausschließlich zu rechtlicher Verunsicherung betroffener Verbraucher führt und die Tendenz zeigt, Störer- und Täterhaftung als gleich anzusehen.
Es ist also richtig, dass eine differenzierende Betrachtung vonnöten ist. Inwieweit man allerdings außerhalb von Vergleichsgesprächen tatsächlich Gehör findet und welche Tendenz dem Grundsatz nach durch das Gericht gewählt wird, erscheint angesichts der Pressemeldung in München und dortiger Verhandlungen zweifelhaft.
Insofern erscheint höchst fraglich, ob nicht die von Dr. Petring als so angenehm beschriebene Verhandlung tatsächlich der wirkliche Einzelfall ist und teilweise darin begründet liegt, dass letztlich der Vergleich geschlossen wurde.
Interessant wird die Verhandlung in München vor allem, wenn ein Vergleichsschluss abgelehnt wird.
In zeitlicher Nähe zur beschriebenen Verhandlung habe ich eine völlig andere Erfahrung der Verhandlungsführung gemacht, wobei ich nicht nur das eigene Verfahren geführt, sondern auch weitere 4 Verfahren als Zuschauer erleben konnte.
Hier bestätigte sich zwar, dass unterschiedlicher Vortrag zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Gleichsam bestätigte sich die eher kritische Berichterstattung Dritter über Verfahren vor dem Amtsgericht München.
Innerhalb von Vergleichsgesprächen wurde stets – ausnahmslos – davon ausgegangen, dass die "Kostenerstattung" sowieso geschuldet sei. Dabei wurden Argumente "ausgetauscht" bzw. vom Gericht eingeführt, die teilweise gleichen rechtlichen Gehalt wie die Pressemitteilung hatten. Ansonsten ging es stets fast nur noch um die Frage, wie hoch Schadensersatz zu zahlen sein wird.
Unangenehm wird die Sache dann, wenn sich ein Beklagter traut, den Vorschlag zur Zahlung abzulehnen. In diesem Fall versteht das Gericht sich auch in der Ausschöpfung der "Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung", indem etwa 700 km entfernt wohnende Beklagte persönlich geladen werden und gleichzeitig festzulegen, dass eine Vertretung nicht erfolgen können – man möge bitte zwingend selbst erscheinen. Im konkreten Fall haben einige weitere Punkte der Verfügung und Äußerungen des Richters Anlass gegeben, den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Dieser Antrag (der zweite in meiner ganzen beruflichen Laufbahn, in Urhebersachen der erste) ist vom Amtsgericht München zurückgewiesen worden. Um ein kostenmäßig völlig unverhältnismäßiges Ausufern des Verfahrens zu verhindern, wurde letztlich auch hier ein Vergleich geschlossen.
Diese Tendenz galt für alle Verfahren, denen ich auch als Zuschauer beiwohnen durfte. Bei allen Verfahren wurde ein Teil Schadensersatz mit vereinbart, obwohl aus objektiver Sicht unter Berücksichtigung des Ausschlusses von Schadensersatz bei reiner Störerhaftung wohl einige Male keiner geschuldet gewesen wäre. Unter Anderem einmal mit dem "Argument": "Dann war's eben der Ehepartner" – wohl kaum rechtlich wirklich haltbar.
Hierzu stellt Rechtsanwalt Dr. Petring folgendes fest:
"Trotz der nicht selten geringen Substanz in der Abmahnung verlangen die für die "Rechte-Inhaber" agierenden Rechtsanwälte regelmäßig vom Abmahnungsempfänger nicht nur oft unmögliche und/oder unzumutbare sachverhaltliche und technische Darlegungen unter dramatisierendem Hinweis auf eine sogenannte "sekundäre Darlegungslast"; zusätzlich möchten die Formular-Juristen auch noch gerne die Beweislast hinsichtlich der "festgestellten" Rechtsverletzung und hinsichtlich eines vermeintlichen "Verschuldens" dem Anschlussinhaber bzw. der Anschlussinhaberin zuweisen. Um eine Angabe bzw. Zitierung "eindeutig" anwendbarer gerichtlicher Entscheidungen (s.o.) ist man dabei zumeist nicht verlegen. Demgegenüber hängt die gerichtlich sorgfältig abzuwägende Verteilung der Darlegungslast und der davon zu unterscheidenden Beweislast stattdessen stets von einer Vielzahl von konkreten Umständen bzw. Indizien des jeweiligen Einzelfalls ab. Diese sind im Rahmen des prozessualen Vortrags argumentationsstark aufzuzeigen – das ist kein Durchmarsch, weder für die Kläger-, noch für die Beklagten-Seite."
Betrachtet man die Klagen vor dem Amtsgericht München, so ist der Klagevortrag stets nahezu identisch.
Ohne ganz umfänglichen dezidierten und bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Sachvortrag in der Klageerwiderung ist tatsächlich in München nichts zu erreichen. Das aber ist ausschließliche Aufgabe des Beklagten. Die Klage befasst sich regelmäßig mit Allgemeinerwägungen angeblicher Schädlichkeit von Filesharing und enthält kaum tatsächlichen Einzelvortrag. Dieser wird von Abmahnern auch nicht verlangt. Hier reicht zunächst einmal wie innerhalb der Abmahnung die wiederholte Verwendung von Allgemeinerwägungen, kombiniert mit eingefügten Daten des Abgemahnten und angeblichen Verstoßzeiträumen.
Auch dezidierter Vortrag dagegen, wie er vor anderen Gerichten recht schnell zur Klageabweisung führt, wenn nicht vertiefender Vortrag der Kläger folgt (siehe Landgericht Hamburg; Landgericht München, Landgericht Stuttgart, Landgericht und OLG Frankfurt) führt vor dem Amtsgericht München bestenfalls dazu, sich "dezidiert damit auseinander zu setzen" oder dem Beklagtenvertreter zuzuhören ("in Vergleichsverhandlungen eine Tauschbörse an Argumenten").
Für einen Beklagtenanwalt sollte es wiederum eine Selbstverständlichkeit sein, dezidiert und umfänglich nach den Regeln anwaltlicher Kunst vorzutragen. Wer als Abgemahnter alleine sein Heil sucht, ist in solchen Fällen verloren. Der Glaube, das Gericht werde schon erkennen, worum es geht, verkennt, dass ein Gericht im Zivilverfahren nur berücksichtigen darf, was als Sachverhalt in den Prozess richtig und wahrheitsgemäß eingeführt (vorgetragen) wurde. Einen Vergleich bekommt man vielleicht sogar hin, aber kaum einen günstigen und schon gar keinen Sieg. Weder in München, noch vor anderen Gerichten.
Betrachtet man aber etwa mal genauer, welche Abmahnungen etwa der Kanzlei Waldorf Frommer aus den Jahren 2007 und 2008 betroffen sind, so führt dies zur Erkenntnis, dass man auf Seiten des Gerichts auch noch ganz anders damit umgehen könnte, wenn man denn kritischer betrachten wollte. So hat schon das OLG Köln (Beschluss vom 20.05.2011 (Az. 6 W 30/11)) zu solchen Abmahnungen folgende Worte gefunden:
"Insoweit ist jedenfalls von einem gewerblich tätigen und rechtlich beratenen Gläubiger zu verlangen, dass er dem Schuldner keine Hinweise erteilt, die den Schuldner von der Anerkennung des Anspruchs abhalten können. Geschieht dies gleichwohl, kann der Gläubiger – nach objektiven Maßstäben – aus einer unterbliebenen Reaktion des Schuldners auf die Abmahnung nicht schließen, dass eine gerichtliche Inanspruchnahme erforderlich ist. Der Senat verkennt nicht, dass diese Einschätzung bisher – wie die Antragstellerin dargelegt hat – in der Literatur nicht vertreten worden ist. Es lässt sich den angeführten Literaturnachweisen jedoch nicht entnehmen, dass diese sich mit den hier gegebenen Besonderheiten auseinandergesetzt haben. Dass Privatpersonen wegen Urheberrechtsverletzungen in Anspruch genommen werden, kommt nämlich erst in jüngerer Zeit in einem früher kaum vorstellbaren Umfang vor."
Dies bedeutet, dass es sich bei solchen Abmahnungen um eine Tätigkeit handelt, die nicht erforderlich und notwendig zur außergerichtlichen Rechtsdurchsetzung ist, sondern vielmehr um dazu gerade nicht geeignete Leistungen. Wenn aber weder erforderliche noch angemessene notwendige außergerichtliche Kosten anfallen, sind diese nicht erstattungsfähig, mal abgesehen von der weiterhin offenen Frage tatsächlicher Zahlung von Rechteinhabern an Rechtsvertreter.
(Vergleichbar auch die Entscheidung OLG Düsseldorf vom 14.11. 2011, Az. I-20 W 132/11 – unbrauchbare anwaltliche Dienstleistung)
Mit solchen Argumenten etwa findet man bisher beim Amtsgericht München kein Gehör.
III. Schlussfolgerung
Im Ergebnis nach langem Kampf in einem Urteil ausnahmsweise aus der Schadensersatzhaftung herauszukommen ist eben sowenig ein Sieg wie ein Vergleichsschluss und ganz sicher kein Beleg für die Fairness oder die Tendenz eines Gerichtes, vor allem nicht, wenn wie üblich hoch eingeklagt wird und/oder die Kosten des Beklagten die dieser selbst zu tragen hat, den Nutzen (Senkung des Betrages durch Vergleich oder Teilabweisung) wieder aufzehren.
Mir ist kein Fall persönlich bekannt, in dem vor dem Amtsgericht München ein Abgemahnter wirklich gewonnen und nicht nur einen Vergleich geschlossen hätte, was aus wirtschaftlichen Gründen angesichts der ansonsten drohenden Vorgehensweise häufig Sinn macht.
Die furchtbare Folge des fliegenden Gerichtsstandes – explosionsartig anwachsenden Kosten für weit entfernt wohnende Abgemahnte – zeigt hier ihre volle Wirkung, wenn erst mal zur Vergleichsverhandlung geladen wird, dann nach Ablehnung zur zweiten Verhandlung und ansonsten vor allem der Wink mit dem erforderlichen Gutachten (Zitat des Richters: "5.000 Euro wird das schon kosten") erfolgt. "Günstig" wirkt sich für solches Vorgehen auch die Randlage des Gerichts in München aus, viele Abgemahnte müssen weit reisen, das macht die Erzeugung wirtschaftlichen Drucks auf Abmahnerseite leichter.
Die Tatsache, dass ein Gericht sich Argumente auch des Beklagten anhört, ist für einen Rechtsstaat ein Mindestmaß an Selbstverständlichkeit und nicht der geringste Grund, ein solches Gericht gesondert lobend zu erwähnen. Wenn das Gericht dezidierte Urteile unter Berücksichtigung des gesamten Vortrages und der Prüfung der Richtigkeit beiderseitigen Vortrages und umfänglicher manches mal auch rechtlich schwieriger Begründung findet, ist dies eine andere Qualität und verdient besondere Erwähnung.
Die Tatsache, dass die lobenden Worte über ein Gericht wiederholt wurden, weil dieses zuzuhören oder "Argumente auszutauschen" bereit war, bedurfte aus meiner Sicht einer Erwiderung. Die umfassende Gewährung rechtlichen Gehörs sollte auch in Filesharingfällen eine Selbstverständlichkeit gerichtlicher Verfahren sein bzw. werden.
Links
6 W 30/11
http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=6%20W%2030/11
I-20 W 132/11
http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=20%20W%20132/11
Sonntag, 5. Februar 2012
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